Purpose vs. Ikigai – wo ist der Unterschied
Wer sich auf LinkedIn, Instagram oder im Internet umschaut und nach Purpose Programmen oder nach Purpose Kursen sucht, findet 5.380.000 Einträge. Diese reichen von “Energie und Motivation” finden bis hin zu “Leadership Programmen”. Viele versprechen mehr Erfolg, eine Karriere und ein gutes Leben. Wir haben uns gefragt, welches Grundbedürfnis steckt eigentlich wirklich dahinter?
Purpose- und Sinnsuche heute
In einer Zeit, in der die alten, Sinn-stiftenden Organisationen und Quellen an gesellschaftlicher Relevanz (Kirchen, Religion, u. v. m.) verlieren und wir mehr und mehr Fragen an die Zukunft haben (Krieg, Pandemie u. a.) ist es nicht verwunderlich, dass mehr und mehr nach “Purpose” und Sinn gesucht wird.
Dazu gehören auch ganz neue Ansätze, die uns Wege aufzeigen wollen, wie wir in einer säkularisierten Gesellschaft wieder Momente von Erfüllung und einen Glanz von Ewigkeit finden können.
So zitiert Jamie Wheal in seinem Buch “Recapture the Rapture: Rethinking God, Sex, and Death in a World That's Lost” den erst jüngst verstorbenen Professor, Mihaly Csikzentmihalyi, der vielen von uns durch seine Forschungen zu “Flow” bekannt ist:
"Es gibt Momente, die aus dem Chaos des Alltags wie leuchtende Leuchttürme hervorstechen. In vielerlei Hinsicht könnte man sagen, dass das ganze Bestreben der Menschheit über Jahrtausende hinweg darin bestand, diese flüchtigen Momente der Erfüllung einzufangen und sie zu einem Teil des Alltags zu machen. “
Ein Grundbedürfnis ist die Suche nach Bedeutung, nach “Meaning”. Viktor Frankl baute seine dritte Wiener Schule der Psychologie auf der Idee auf, dass alle Menschen einen Willen zum Sinn hätten.
Ikigai – eine Suche nach Sinn und Berufung
Auf seine Lehre berufte sich auch Mieko Kamiya, Begründerin der Ikigai-Psychologie. Wie Viktor Frankl, erlitt Mieko Kamiya in ihrem Leben Schicksalsschläge, die sie zu der Frage brachten: “Wie können wir Sinn – und Glück – im Leben finden, wenn wir den Sinn einmal verloren haben?”.
Viktor Frankl und Mieko Kamiya sahen beide das Bestreben der Menschen nach “Glück”. Beide sahen in ihrer Arbeit als Psychotherapeuten, dass Menschen, die viel Leid erfahren hatten, dennoch Sinn finden konnten –auch wenn die Umstände alles andere als leicht waren. Bei Viktor Frankl waren es Mitgefangene in den Konzentrationslagern, bei Mieko Kamiya waren es Lepra-Erkrankte, deren Wohl sie sich widmete.
Viktor Frankl prägte später das Zitat:
Auch Mieko Kamiya fand ihr Glück in der eigenen Berufung: Sie fand es in dem Schreiben über das Ikigai. Dies brachte sie dazu, ihr Grundlagenwerk “Ikigai-ni-tsuite” zu schreiben. Sie war davon so eingenommen, dass sie kaum davon loslassen konnte.
Mieko Kamiya war nicht nur von der Idee eingenommen, ein Buch zu veröffentlichen, sie fand in ihrer persönlichen Frage eine Motivation, ihren Lebensweg, ihr Leiden und ihre Erkenntnisse über die Frage, wie wir Sinn finden können, für viele Menschen zugänglich zu machen.
Mieko Kamiya fand im Schreiben über das Ikigai ihre Berufung.
Als sie ihren ersten Entwurf zu ihrem Buch beendet hatte, schrieb sie am 7. September 1961 in ihr Tagebuch:
Was wir daraus lernen können
Heutzutage versprechen uns viele “Purpose Programme” einen schnellen Weg zu persönlicher Motivation, zu Sinn und Erfolg. Wir versprechen uns davon Erfüllung, Berufung, Glück und ein “Ankommen” in der großen Sinnfragen. Von Viktor Frankl und Mieko Kamiya können wir lernen:
Sinn finden wir nicht nur im Glück – gerade in Leid können wir Sinn für unser Leben entdecken.
Berufung findet uns. Häufig versuchen wir, Berufung in Diagrammen, auf Social Media und in Kursen zu finden.
Je mehr wir Sinn und Purpose nachjagen, etwa um erfolgreicher und glücklicher zu werden, umso mehr können wir uns die Sicht darauf verbauen.
Ikigai fragt nicht nach dem “was”, als nächsten Schritt, sondern nach dem “wie” wir unser Leben leben wollen.
Ikigai strebt nicht Gewinn nach, sondern schaut nach bereits vorhandenen Reichtümern – und führt so zu mehr Dankbarkeit. Gelebte Dankbarkeit ist eine Quelle für mehr Wohlbefinden (Sonja Lyubomirsky, University of California, 2015).
Häufig wird Purpose und die Suche nach dem “Why” mit der Suche nach dem “Warum” übersetzt. Ikigai fragt nicht “Warum”. Ikigai fragt nach dem “Wozu” – und öffnet eine Perspektive für die Zukunft. Dies ist eine große Nähe zur Logotherapie.
Hier findet ihr ein einfaches PDF-Diagramm zum Download, dass euch bei der Unterscheidung von modernen Purpose-Ansätzen und Ikigai helfen kann:
Tiefer einsteigen könnt ihr die Fragen von Purpose, Sinn und Ikigai in unseren Ikigai-Live-Kursen.
Nachweise und Literaturempfehlungen:
Lyubomirsky, Sonja, Sheldon, K M, & Schkade, D. (2005). Pursuing happiness: The architecture of sustainable change. (Review of General Psychology, 111-131.) eScholarship, University of California. Link.
Csikszentmihalyi, M. (2016). Flow and the foundations of positive psychology: The collected works of Mihaly Csikszentmihalyi.
Frankl, Viktor E. (2018). Man's search for ultimate meaning. New York: Basic Books.