Ikigai – wer hat´s erfunden?

Oh god, if this is truly my mission, please give me the will and power to accomplish it. Please keep me alive until I complete this work.
— Mieko Kamiya, 1950

Mieko Kamiya – der Beginn der IKIGAI Forschung 

Mieko Kamiya könnte man als die Mutter der Ikigai-Psychologie bezeichnen. Sie war eine der ersten Forschenden, die sich intensiv mit Ikigai beschäftigten. Sie veröffentlichte 1966 die erste Auflage ihres grundlegenden Buchs “Ikigai-ni-Tsuite” (“Was unser Leben lebenswert macht”). Obwohl es vor über 55 Jahren erschien, hat es nicht an Aktualität verloren und wird auch heute noch von Forschenden, Professor:innen und Psycholog:innen als Standardwerk angesehen. Leider wurde ihr Buch nie ins Englische übersetzt und blieb so unzugänglich für viele Menschen. Mieko Kamiya starb 1979 im Alter von nur 65 Jahren.

Was hat Mieko Kamiya zu ihrer Arbeit motiviert?

"Es scheint, dass das Wort Ikigai nur in der japanischen Sprache vorkommt. Die Tatsache, dass dieses Wort existiert, sollte darauf hinweisen, dass das Ziel zu leben, seine Bedeutung und seinen Wert innerhalb des täglichen Lebens der japanischen Seele problematisiert wurde. (...) Laut Wörterbuch bedeutet Ikigai "Kraft, die man braucht, um in dieser Welt zu leben, Glück, am Leben zu sein, Nutzen, Wirksamkeit." Wenn wir versuchen, es ins Englische, Deutsche, Französische usw. zu übersetzen, scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, es anders zu definieren als "lebenswert" oder "Wert oder Sinn zu leben". So zeigt uns das Wort Ikigai im Vergleich zu philosophischen theoretischen Konzepten, wie sehr die japanische Sprache mehrdeutig ist, aber gerade deshalb hat es eine Wirkung von Nachhall und Fülle." – Mieko Kamiya

Wie ging Mieko Kamiya vor?

Basierend auf ihren Beobachtungen und Interviews mit älteren Menschen, die eine schwere Krankheit erlebt haben, begann sie, Ikigai wissenschaftlich zu untersuchen und baute darauf ihre Ikigai-Theorien auf. Sie veröffentlichte 1966 ihr Buch "Ikigai ni Tsuite", das heute immer noch von Forschenden als Grundlagenwerk erachtet wird. 

Darin beschreibt Kamiya Ikigai als eine Art von Glück, aber mit dem wesentlichen Element des Gefühls, dass das Leben vorwärts geht (Zukunftsorientierung). Sie schrieb, dass wir unser Ikigai am meisten fühlen, wenn die Dinge, die wir im Leben am liebsten tun würden, auch unsere Verpflichtungen oder Pflichten sind: “Der ehrlichste Aspekt unseres Ikigai sind unsere Gefühle”.

Sie unterschied dabei Ikigai von Lebensglück und Wohlergehen ( jap. 幸福感 koufuku-kan).


Was fand Mieko Kamiya heraus?  

  • Ein Ikigai wird dann verstärkt wahrgenommen, wenn eine Zukunftsorientierung und Zukunftsperspektive gegeben ist. Diese ist noch wichtiger als die Empfindung von gegenwärtigem Glück. Selbst wenn Menschen mit ihrem gegenwärtigen Leben zu kämpfen haben, können sie dennoch ihr Ikigai wahrnehmen, solange sie Hoffnung oder ein Ziel haben.

  • Das Ikigai ist stark mit der persönlichen Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit verbunden. Zum Beispiel fühlen Menschen ein größeres Maß an Ikigai in ihrem Leben, wenn sie etwas erreichen, was sie alleine oder was nur nur sie selbst geschafft haben. 

  • Das Ikigai ist viel stärker mit den eigenen Werten verbunden, als temporäres Glück und Wohlbefinden. 

Was hat Mieko Kamiya daraus entwickelt? 

An Kamiya´s Forschung kann man die wirklichen Wurzeln des Ikigai entdecken. Entgegen des weit verbreiteten (“westlichen”) Modells des Ikigai hat sie grundlegende Dimensionen für ein Ikigai untersucht. Dabei unterschied sie - in Anlehnung an Viktor Frankl - zwischen

  • Ikigai-Quelle: einem Subjekt, einer Quelle von Ikigai

  • Ikigai-Haltung (ikigai-kan): ein “Geisteszustand”, wenn man ikigai in Verbindung mit einer Quelle fühlt 

"Es gibt zwei Arten, das Wort Ikigai zu verwenden. Wenn jemand sagt, "dieses Kind ist mein Ikigai", bezieht sich das auf die Quelle des Ikigai – und auf der anderen Seite, wenn man Ikigai als Geisteszustand fühlt: Ikigai-kan." - Kamiya Mieko

Sie bezog Ikigai-kan auf Viktor Frankl`s “Sinn des Lebens” und glaubte, dass die Quellen des Ikigai mit der Identität des Menschen übereinstimmen sollten, die es ihm erlaubt, sein wahres Selbst auszudrücken – das was wir heute “Purpose” nennen würden.


Hier kannst du mehr zu Mieko Kamiya in unserem Audio Kurs hören:


Wie findet man nach Mieko Kamiya sein IKIGAI?

In ihrem Buch "Ikigai ni Tsuite" (Engl. “What makes our life Worth Living”, “Über den Sinn unseres Lebens”) entwickelte sie ein Modell mit sieben Dimensionen, die zu einem persönlichen Ikigai-kan führen. Sie formulierte diese als Bedürfnisse nach: 

  • Lebenszufriedenheit 

  • Veränderung und Wachstum 

  • einer guten Zukunft

  • Resonanz – etwa in Beziehungen, auch für Resilienz bedeutsam

  • Freiheit 

  • Selbstverwirklichung

  • Bedeutung und Wert finden

Kamiya wies in ihrem Buch darauf hin, dass je nach Individuum der Wunsch und die Kombination dieser Bedürfnisse, die erforderlich sind, um Ikigai-Bewusstsein zu erfahren, von Person zu Person variieren würde. Auch müssten nicht alle sieben Bedürfnisse befriedigt werden, die Kombination dieser Bedürfnisse sei je nach Ikigai-Quelle unterschiedlich.

 

Ikigai-Test mit Mieko Kamiya und Ken Mogi

Wir haben mit den Dimensionen nach Mieko Kamiya und den fünf, bzw. sechs Ikigai-Säulen nach Ken Mogi eine IKIGAI-Reflexion entwickelt, die du hier kostenfrei durchführen kannst:

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Mieko Kamiyas Arbeit und ihre Anschlussfähigkeit an die westliche Psychologie

Ihr Kontext waren - ähnlich wie bei Viktor Frankl - traumatisierte Menschen. Sie entdeckte diese sieben Grundbedürfnisse bei den von ihr behandelten Patienten, die einen "schweren Verlust” ihres Ikigai und dessen Bedeutung erlitten hatten.

Überschneidungen mit modernen Modellen wie dem PERMA-Modell von Martin Seligman (Positive Psychologie) und klassischen Strömungen wie der Logotherapie von Viktor Frankl und der Bedürfnishierarchie von Maslow sind in ihrem Modell deutlich erkennbar und zeigen einen “universellen” Ansatz ihrer Forschung. Wir werden dies in unserem Journal-Kurs vertiefen.

 

Mieko Kamiya´s persönliches Ikigai

Mieko Kamiya war eine Frau mit vielen Rollen und Talenten. Sie war nicht nur Ärztin, Psychiaterin und Schriftstellerin, sondern auch Übersetzerin und Mutter von zwei Kindern. Schon mit neun Jahren begann sie, in ihre Tagebücher, im Japanischen „shuki“ genannt, zu schreiben. Darüber hinaus sprach und unterrichtete sie mehrere Fremdsprachen, darunter Französisch und Englisch. Als Übersetzerin übertrug sie die “Meditations” von Marcus Aurelius und Werke von Michael Foucault in die japanische Sprache.

Mieko Kamiya lehrte Psychiatrie an verschiedenen japanischen Universitäten und war Privatlehrerin von Prinzessin Mishiko. Sie engagierte sich intensiv in der Untersuchung von Leprakranken, was viele in ihrer Umgebung als ihre „Berufung“ oder ihr Ikigai betrachteten. Doch ein Blick in ihre Tagebucheinträge zeigt, dass sie ihr wahres Ikigai in der Forschung und im Schreiben über das Ikigai selbst fand.

Es ist endlich der letzte Tag der Sommerferien. Während ich mich auf die Wiederaufnahme des Unterrichts vorbereitete, blickte ich auf diesen Sommer zurück, in dem ich mich ganz dem Schreiben meines Buches gewidmet hatte. Je weiter ich im Laufe des Sommers mit dem Schreiben vorankam, desto klarer wurde mir, dass dies meine wichtigste Aufgabe war. Ich könnte fast sagen, dass ich nur gelebt habe, um dieses Buch zu schreiben. Welche Überraschung, welche Freude und welche Ehrfurcht empfand ich, als ich das nach und nach erkannte. Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass sich mir eines Tages der Sinn meines Lebens auf diese Weise allmählich offenbaren würde.
— Mieko Kamiya

Autobiographisch kann man ihr Leben und ihre Berufung nur verstehen, wenn man berücksichtigt, dass sie in jungen Jahren einen geliebten Menschen verlor, mit dem sie ihre Zukunft teilen wollte. Später beschrieb sie diese Erfahrung so: “als wären Himmel und Erde zusammengebrochen”, ein Gefühl, das sich tief in ihr Herz eingebrannt hat.

So entstand der Titel ihres Buches: “Was unser Leben lebenswert macht” – Ihre zentrale Motivation war:

Wie können wir Sinn finden, wenn wir ihn einmal verloren haben.
— Mieko Kamiya

Das achte Kapitel ihres Buches “Ikigai-ni-tsuite” trägt den Titel “Den Sinn des Lebens wiederentdecken”.

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1 Sie zitiert Frankl mehrfach Viktor E. Frankl. Sie laß in der japanischen Ausgabe „Yoru to kiri.”, “Nacht und Nebel, Ein Psychologe erlebt das KZ”, dass wir als “Trotzdem Ja zum Leben sagen” kennen.

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Verfasst von Klaus Motoki Tonn.

Quellen: 

  1. Yuzo Ota, A Woman with Demons: The Life of Kamiya Mieko, 22. Februar 2006 

  2. Ikigai-ni-Tsuite, Mieko Kamya, 1966.

  3. Study abroad, transformation, and ikigai: a case study, Olenka Bilash. https://doi.org/10.32865/fire201952170


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