Über die Kunst des Zuhörens - bewusst den Alltag Alltag sein lassen.
Fang bei Dir an.
“Zuhören ist sehr schwer, weil es von uns so viel innere Stabilität verlangt, dass wir uns nicht mehr durch Reden, Argumente, Aussagen oder Erklärungen beweisen müssen. Wahre Zuhörer haben nicht mehr das innere Bedürfnis, ihre Anwesenheit kundzutun. Sie sind frei, zu empfangen, willkommen zu heißen, zu akzeptieren” - HENRI NOUWEN
Multitasking, also mehrer Aufgaben gleichzeitig managen zu können, hilft uns manchmal, unseren Alltag zu meistern. Es gibt so viel zu tun, warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ganz selbstverständlich beantworten wir E-Mails, hören am Telefon nach, wie es unseren Liebsten geht und hängen in einem Videoanruf. Doch in manchen Augenblicken ist es wichtig und wertvoll, ganz da zu sein: Wenn wir anderen tief und ehrlich begegnen möchten.
Um das zu schaffen, können wir bei uns selbst beginnen. Was passiert, wenn wir uns bewusst dagegen entscheiden, parallel zu arbeiten? Wenn wir eine Zeit schaffen, indem wir bewusst unseren Alltag Alltag sein lassen, gelingt es, zu entschleunigen. Diese schöne Langsamkeit kann in Gesprächen Früchten tragen: Beziehung ist dann mehr als eine Erledigung auf unserer endlos langen To-Do-Liste.
Schon vor dem Gespräch können wir diese Langsamkeit kultivieren. Unser bester Lehrer dafür ist unser Atem. Er begleitet uns schon unser Leben lang, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Und so müssen wir auch in diesem Moment nichts erledigen oder schaffen. Einfach ein- und ausatmen.
Bevor wir einer Person begegnen, haben wir schon viele Gedanken über diese Begegnung. Vielleicht sind da Erwartungen, Wünsche oder Ängste? Beobachte, welche Emotionen Du spürst, wenn Du an Deine Begegnung mit einer Person denkst. Frag dich: Was brauche ich jetzt? Was kann ich mir selbst Gutes tun?
Ebenso können wir durch ein kurzes Innehalten bemerken: Jetzt gerade in diesem Moment kann ich das nicht. Ich kann meinem Gegenüber nicht das geben, was ich mir wünschen würde. Ich bin nicht ganz Ohr - was auch völlig okay ist. Wir müssen nicht dieses Telefonat auch noch zwischen all den Team Meetings dazwischen quetschen. Dann bedeutet auch das, im Moment zu sein und zu spüren, was in uns vorgeht. Manchmal brauchen wir selbst ein offenes Ohr und Herz oder Zeit für uns ganz alleine und können das Treffen verschieben.
“Zuhören ist viel mehr, als einem anderen das Reden zu erlauben und darauf zu warten, dass wir antworten können. Zuhören bedeutet, dem anderen seine volle Aufmerksamkeit zu schenken und ihn in unserem Wesen willkommen zu heißen” - HENRI NOUWEN
Wie wahres Zuhören geht.
Wenn wir uns vor Augen geführt haben, wo wir selbst stehen - emotional und mental - kann unser Gegenüber in den Vordergrund treten. Wir unterscheiden zwischen Hören und Zuhören. Das Zuhören involviert mehrere Sinne. Wir lernen und erfahren neue Inhalte, wenn wir zuhören - nicht nur über Sprache. Tonlage und Redetempo verraten, wie unser Gegenüber fühlt. Mimik, Gestik und Körperhaltung helfen uns, Gefühle zu identifizieren. Sogar über den Geruchssinn sind wir imstande, das Gefühl der Angst wahrzunehmen. Vieles davon läuft unterbewusst ab.
Deswegen bedeutet wahres Zuhören mehr, als passiv zu schweigen. Wir nehmen am Gespräch teil, selbst wenn wir gerade nicht sprechen. Denn zuhören lebt davon, aktiv zu sein: Mein Gegenüber spricht, ich nehme aktiv auf und bin ganz da.
Achtsames Zuhören heißt, Gehörtes nicht zu werten & Pausen und Fragezeichen auszuhalten. Wir laden die andere Person damit ein, sich zu öffnen, weil wir in dieser Haltung Offenheit und Gutherzigkeit signalisieren. Eine magische Frage, mit der viele Missverständnisse und Unklarheiten geklärt werden ist: “Habe ich richtig verstanden, dass…”. Wenn die Gedanken abschweifen, können wir sie wieder zurückholen oder kurz Pause machen. Wenn sich etwas unangenehm anfühlt oder wir etwas nicht verstehen, können wir es mit Neugierde betrachten.
Wahres Zuhören bedeutet, ab und zu zustimmend zu nicken, statt mit eigenen Ideen und Kommentaren das Gespräch in die eigene Richtung zu lenken. Ungefragt die eigene Meinung mitzuteilen ist meistens unser erster Impuls, aber meistens nicht so hilfreich.
Was aber, wenn wir die Lösung für die Probleme unseres Gegenübers kennen? Wenn wir anderen Rat geben, ist das wahrscheinlich gut gemeint. Wir wünschen uns, sie zu unterstützen und wollen (meistens) das Beste für sie. Am Besten unterstützen wir jedoch, indem wir unserem Gegenüber den Raum und das Vertrauen geben, selbst einen Umgang zu finden. Es schenkt ihm:ihr die Möglichkeit, die eigene Situation zu hinterfragen und daraus eine eigenständige Entscheidung zu treffen, statt aus vorgegebenen Antworten und dem Wunsch, anderen zu gefallen. So gestalten wir unsere Unterhaltungen wirklich nachhaltig und wertvoll für unsere Beziehungen.
Vielleicht ist es auch schwer zu ertragen, wenn unser Gegenüber unter einer Situation leidet. Wie können wir da mit unserer Lösung hinterm Berg halten - es ist doch notwendig? Alle Erfahrungen können Lernerfahrungen sein. Sie sind nicht immer etwas, vor dem man geliebte Menschen schützen muss. Denn wir haben immer die Möglichkeit, aktiv auf sie zu reagieren. Im Umgang mit solchen Erfahrungen können wir z.B. unsere Resilienz (innere Verfassung, Widerstandsfähigkeit – mehr dazu in unserem E-Book) stärken.
“Das Schöne am Zuhören ist, dass diejenigen, denen zugehört wird, anfangen, sich angenommen zu fühlen, anfangen, ihre Worte ernster zu nehmen und ihr eigenes wahres Selbst zu entdecken. Zuhören ist eine Form der spirituellen Gastfreundschaft, durch die wir Fremde einladen, Freunde zu werden, ihr Inneres vollständiger kennenzulernen und sogar zu wagen, mit ihnen zu schweigen” - HENRI NOUWEN
Warum gehört werden so heilsam ist.
Wenn wir wirklich zuhören, zeigen wir Empathie und bieten emotionale Unterstützung an. Wir öffnen so den Raum, sich Dinge “von der Seele zu reden”. Unserem Gegenüber diese ehrliche Aufmerksamkeit zu schenken sagt: “Ich bin da für Dich!” - und das ganz ohne Worte.
Wenn wir mit ganzem Herzen zuhören, entsteht ein Raum, in dem sich ein Individuum selbst reflektieren kann. Sprechen bedeutet Worte finden, Umstände benennen und greifbar machen. Durch Verbalisieren kommen innere Konflikte zum Vorschein, die vorher im Unterbewussten lagen. Sprechen hilft uns und anderen, ein Verständnis für das zu entwickeln, was in uns vorgeht. Das ist der erste Schritt, um mit einem Thema vorwärts zu kommen.
Eine offene, wertfreie Begegnung befreit. Unser Gegenüber muss keine Angst haben, verurteilt zu werden oder sich zu rechtfertigen. Das macht es leicht, sich selbst anzunehmen. Wir unterstützen Menschen beim Annehmen, indem wir sie selbst annehmen und einladen. Uns befreit uns eine solche Haltung von den Gedankenkreisen um die Frage, was wir als nächstes sagen könnten. Denn was wir sagen, ist nicht so wichtig, wie dass wir zuhören und offene Fragen stellen.
Am Besten sind wir für andere da, indem wir wahrnehmen, annehmen und einladen. Das ist vielleicht das größte Geschenk, das wir uns und anderen machen können. Ganz im Moment sein und ganz aufmerksam alles aufzusaugen, was der Moment bietet. Was die andere Person bewegt. Auf diese Weise können wir praktisch machen, was wir meistens ja meinen: “Ich verstehe dich, ich unterstütze dich, du kannst alles mit mir teilen”.
Ich persönlich erfahre beim aktiven Zuhören oft, wie mein:e Gesprächspartner:in beim Teilen ihrer Gedanken sich selbst intensiv begegnet und zu wichtigen Erkenntnissen kommt: “Jetzt, wo ich das gerade ausspreche, merke ich, dass ich … brauche”. Ich bin damit Teil einer persönlichen Reise. Das verbindet mich tief und authentisch mit meinem Gegenüber. Jemanden auf diese Weise willkommen zu heißen gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden, hier an dieser Stelle genau richtig zu sein. Das stimmt mich auch im Nachhinein noch lange dankbar.
Bei unseren Seminaren wie “Search Inside Yourself” und auch am “Finde Zukunft” Tag (den nächsten Termin gibt es hier) gibt es viele interaktive Sessions im geschützten Raum, in dem wir “achtsames” und “empathisches Zuhören” u.a. trainieren.