Komorebi und die Kunst der Lichtmalerei

Komorebi 木漏れ日: Ein Tanz von Licht und Schatten

Spätestens seit dem Film von Wim Wenders, "Perfect Days", ist ein Wort aus dem Japanischen sehr bekannt geworden: Komorebi. Dieses Wort oder vielmehr das Gefühl, das sich übersetzen lässt als das Licht, das durch die Bäume fällt und Schatten wirft, klingt zunächst sehr poetisch und mag vielleicht sogar etwas klischeehaft erscheinen. Doch hinter diesem Begriff verbirgt sich weit mehr, als man auf den ersten Blick erkennen mag.

Komorebi entdecken

In meiner Arbeit als Fotograf, besonders wenn ich mit meiner analogen Kamera arbeite, erlebe ich Komorebi nicht nur als ein visuelles, sondern auch als ein tief emotionales Phänomen. Fotografie, oft als Lichtmalerei bezeichnet, fängt dieses Spiel von Licht und Schatten ein. Besonders interessant wird es, wenn wir das entwickelte Negativ betrachten. Auf diesem sind die Schatten hervorgehoben, die Lichter erscheinen dunkel – eine Umkehrung der Realität, die uns zwingt, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Wenn wir dann das Negativ in ein Positivbild umwandeln, offenbaren sich das Licht und die Kontraste. Die Schatten definieren die Konturen und geben den Objekten im Bild Gestalt und Tiefe. Diese Transformation vom Negativ zum Positiv ist symbolisch für die Art und Weise, wie wir Lebensereignisse interpretieren können – die dunklen Momente betonen vielleicht die hellen, geben ihnen Kontext und Bedeutung.

Komorebi hilft uns, das Leben neu zu betrachten

Diese Gestaltung durch Licht und Schatten, die in einem Foto festgehalten wird, ermöglicht es uns, Formen und Zusammenhänge zu erkennen. Es ist die Entdeckung dieser Formen und Muster, die uns Bewunderung abverlangen und uns die Schönheit dessen erkennen lassen, was wir vielleicht sonst übersehen hätten.

Genau in diesem Prozess, in diesem Moment, in dem wir die Welt um uns herum durch die Linse betrachten und festhalten, entsteht ein Gefühl von Größe. Dieser Moment, in dem wir wahrnehmen, dass das Leben trotz seiner Vergänglichkeit und seiner dunklen wie hellen Momente lebenswert ist, ist das, was Ikigai ausmacht.

Komorebi ist ein vergänglicher Tanz von Licht und Schatten

Besonders zum Ausdruck kommt die Kraft von Komorebi durch die japanische Haltung „Ichi-go, ichi-e“, was so viel bedeutet wie „einmalig und nicht wiederholbar“. Diese Philosophie, die oft mit der Teezeremonie verbunden ist, lehrt uns, jede Begegnung, jedes Zusammentreffen als einzigartiges Ereignis zu schätzen, das sich genau so nicht wiederholen wird. So wie das Licht, das einmalig durch die Blätter bricht und nie wieder genau dieselbe Form annehmen wird, so sind auch unsere Begegnungen und Erfahrungen einzigartige Kunstwerke des Augenblicks.

Komorebi ist ein Geschenk der Natur, das uns lehrt, die Schönheit in den alltäglichen Dingen zu sehen und zu schätzen. Es ist ein Aufruf, innezuhalten und die Welt um uns herum bewusst wahrzunehmen – nicht nur zu sehen, sondern wirklich zu beobachten; nicht nur zu leben, sondern jedes kleine Detail des Lebens zu erleben.

Komorebi und die Bedeutung der Natur

In der japanischen Kultur steht die Natur (shizen, 自然) für das Universelle und auch für das Göttliche. Sie wird tief verehrt und respektiert, was zentrale Werte unseres Ikigai-Kompasses widerspiegelt. In der Natur finden wir unsere wahre Größe und Verbundenheit mit unserer Erde. Dieses tiefe Ehrfurchtgefühl ist ein Staunen und zollt tiefen Respekt vor der Natur.

Heute wissen wir, dass dieses Staunen sogar gesund für unsere mentale Gesundheit ist (The Science of Awe, A white paper by the Greater Good Science Center at UC Berkeley September 2018). Diese Erfurcht spiegelt sich in vielen japanischen Traditionen und künstlerischen Ausdrucksformen wider, von der sorgfältigen Anordnung eines Zen-Gartens bis hin zur achtsamen Praxis des Ikebana, der Kunst des Blumenarrangements.

Komorebi und Ikigai: Das Bewusstsein über den Lebenswert

Die Momente, in denen das Licht der Sonne durch das Laub bricht – Komorebi – sind ein perfektes Symbol für die Verehrung des Lebens. Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, die natürliche Welt um uns herum zu schützen und zu ehren. Diese Momente bieten uns nicht nur eine visuelle Schönheit, sondern auch eine tiefere Einsicht in die Interaktion zwischen Licht und Leben, zwischen Mensch und Natur.

Ikigai ist das Bewusstsein, dass das Leben, trotz aller Herausforderungen, eine tiefere, lohnende Erfahrung bietet – das ist keine kleine Sache, sondern eine Große.

Indem wir die Welt durch Komorebi sehen - durch das Licht, das sich seinen Weg durch die Blätter bahnt -, finden wir nicht nur Schönheit in den Momenten des Lichts, sondern auch tiefe Dankbarkeit durch das bewusste Erleben dieser Momente.

Eine Komorebi Übung

Eine Komorebi Übung mit Ikigai-Reflexion in 10 Schritten

Nimm dir Zeit in der Natur: Beginne die Übung mit der bewussten Entscheidung, dir Zeit für einen Spaziergang zu nehmen. Dies ist eine Gelegenheit, dem Alltag zu entfliehen und die Verbindung zur Natur zu stärken.

Sei unabhängig vom Wetter: Ob sonnig oder bewölkt, jedes Wetter bietet eine einzigartige Atmosphäre für diese Übung. Akzeptiere das Wetter so wie es ist und lasse es Teil deines Erlebnisses werden.

Wähle einen Ort, der dich anspricht: Suche dir einen inspirierenden Ort in der Natur, den du persönlich magst. Das kann ein ruhiger Park, ein Waldstück oder ein Weg entlang eines Baches sein.

Halte innen: Wenn du an deinem Ort angekommen bist, schließe für einen Moment die Augen. Atme tief ein und aus und spüre, wie du mit jedem Atemzug entspannter und präsenter wirst.

Beobachte Licht und Schatten: Öffne die Augen und beobachte das Spiel von Licht und Schatten. Beobachte, wie das Licht durch die Blätter bricht und welche Muster es auf dem Boden erzeugt.

Atme tief durch: Atme noch einmal tief durch und spüre die frische Luft. Lass die Schönheit der Natur auf dich wirken und versuche, jedes Detail um dich herum wahrzunehmen.

Reflektiere: Überlege, wo es in deinem Leben Licht und Schatten gibt. Welche Bereiche fühlen sich hell und positiv an und wo gibt es Herausforderungen oder Dunkelheit?

Nimm dir Zeit zum Verweilen: Bleibe bewusst an deinem gewählten Ort, halte deinen Atem ruhig und lasse deine Gedanken über die Beobachtungen und Reflexionen frei fließen.

Notiere deine Erkenntnisse: Wenn du ein Notizbuch dabei hast, nutze die Gelegenheit, alle wichtigen Gedanken und Erkenntnisse festzuhalten. Schreibe auf, was dir durch den Kopf geht und welche Gefühle und Einsichten auftauchen.

Schließe mit Dankbarkeit ab: Bevor du den Ort verlässt, nimm dir einen Moment Zeit, um der Natur für diese Erfahrung zu danken. Frage dich zum Abschluss: Wenn Ikigai die Frage ist, was das Leben lebenswert macht – was hast du in diesem Moment Wertvolles erlebt?

Diese Reflexion kann dir helfen, ohne große Anstrengung Ikigai-Momente in der Natur zu finden. Indem du die Schönheit des Komorebi erlebst und aus dem Spiel von Licht und Schatten lernst, kannst du neue Perspektiven auf das entdecken, was dein Leben im Großen und Kleinen bereichert.

 
 
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Ken Mogi’s Ikigai im Leben

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Ikigai und Resilienz