Ikigai in der Natur finden
Wie können wir in der Natur die wahre Bedeutung von Ikigai entdecken?
Ikigai wird in häufig missverstanden, es wird leider mit dem “Purpose” Diagramm des Spaniers Andrés Zuzunaga verwechselt.
Ikigai ist viel mehr: Die eigentliche Bedeutung von Ikigai folgt der Frage: “Was macht unser Leben lebenswert?”.
Den Grundstein dafür legte die sprachlich und medizinisch hochbegabte Psychiaterin Mieko Kamiya bereits Mitte des letzten Jahrhunderts. Ihr Buch “Ikigai-ni-tsuite” wurde in den 60er Jahren in Japan bekannt und ist bis heute nicht in andere Sprachen übersetzt worden. In ihrer Herleitung des Ikigai untersuchte sie leidende Patienten, die trotz ihrer Krankheit Hoffnung und Lebensfreude entwickelten. In ihrer Arbeit bezog sie sich direkt auf die Lehren Viktor Frankls. Dabei unterschied sie grundlegend zwischen Ikigai als Quelle und Ikigai-kan; letzteres meint das Ikigai-Gefühl, wenn wir Ikigai erleben.
Ein solches Erleben ist insbesondere in der Natur möglich. Mieko Kamiya hat als eine der wichtigsten Säulen des Ikigai die “Resonanz” entwickelt - ganz im Sinne von Hartmut Rosa heute.
Die Natur ist ein organischer Ort, um unser Ikigai in Resonanz zu bringen.
Wie können wir Ikigai konkret mit Hilfe der Natur entdecken?
Ikigai lässt sich mit Hilfe eines Kompasses finden, der Tugenden der japanischen Kultur integriert:
Gelassenheit: Ikigai findet uns. Wir finden Ikigai auf unserer Reise. Ein Waldspaziergang lässt uns vieles finden, wir können verschiedene Formen des Lebens im Wald beobachten und erleben: Pflanzen, Tiere, Licht, Geräusche, Interaktionen.
Respekt: Ikigai lebt vom Respekt gegenüber der Vielfalt unseres Lebens. In der Natur können wir lernen, die Schönheit, das Alter und die Bedeutung der Natur als unseren Lebensraum zu respektieren. Diesen Respekt können wir auch auf Menschen und sogar auf uns selbst übertragen. Wenn wir lernen, uns vor der Natur zu “verneigen” und können Respekt üben.
Raum, Zeit und Stille: Ikigai finden wir in unerwarteten Momenten, wenn wir Ikigai Raum geben. Die Natur ist ein wunderbarer Ort, um dies zu praktizieren. Wir können Waldbaden nutzen, um der Natur in unserem Leben Raum zu geben und zu lernen, dass die Natur uns willkommen heißt.
Aufmerksamkeit: Unser Ikigai lebt von unserer Offenheit und Aufmerksamkeit für die vermeintlich kleinen Dinge des Lebens. Je länger wir uns in der Natur aufhalten, desto mehr können wir die kleinsten Organismen entdecken. In der Mikrobiologie der Natur können wir das Leben, die Jahreszeiten und auch die Vergänglichkeit entdecken.
Einzigartigkeit: Wahrnehmung und Wertschätzung der Vergänglichkeit des Augenblicks. Jeder Baum, jedes Lebewesen ist einzigartig. Die Natur lehrt uns, dies zu entdecken – und dabei auch unsere Einzigartigkeit und unser Ikigai zu erforschen.
Vertrauen: In der echten Natur lernen wir, unserer Intuition zu vertrauen. Das Organische kann uns dazu bringen, eingefahrene Wege zu verlassen und uns neu auf die Natur einzulassen.
Wurzeln: In der Natur entdecken wir die unterschiedlichsten Formen von Wurzeln: Sie wachsen emergent und schlagen ihre eigenen Wege. Viele bleiben für uns unsichtbar. Für Bäume und Pflanzen sind sie jedoch überlebenswichtig. Wurzeln begründen uns Menschen und geben uns Halt. Sie erinnern uns an unsere Herkunft und geben uns Werte für unser Leben.
Harmonie und Frieden: Ein lebendiges Ikigai zeigt sich durch Harmonie und persönlichen Frieden in unserem Leben. In der Natur können wir Harmonie erfahren – passend zum aktuellen Zeitalter der “schönen Harmonie” in Japan (“rei-wa”).
Ein einfacher Waldspaziergang kann eine große Inspiration für das Empfinden eines Ikigai-Gefühls sein.
So können wir im sprichwörtlichen Sinne "aktiv" der Frage nachgehen: “Was macht mein Leben lebenswert?”
Viele klinische Studien zeigen: Naturerfahrungen wirken beruhigend und unterstützen unser parasympathisches Nervensystem. Das sind beste Voraussetzungen, um kleine wie große Dinge zu entdecken, die unser Leben lebenswert machen. So bringen uns vermeintlich einfache Waldspaziergänge und Wanderungen in der Natur dem Sinn des Lebens näher.
Ikigai und Resonanz in der Natur finden – eine kurze Meditation
Klaus Motoki Tonn ist Sohn einer japanischen Mutter, in Deutschland aufgewachsen und Autor des Buches “Ikigai: Das Geheimnis der kleinen Dinge”.