Hayao Miyazaki– Ikigai in der Kreativität finden
Hayao Miyazaki – Kreativität in Handarbeit
Manga-Comics werden in Japan von Jung und Alt gelesen. Sie sind fester Bestandteil der japanischen Kultur und finden sich in Tageszeitungen, im Fernsehen und in allen möglichen Zeitschriften. In Deutschland gibt es eine stetig wachsende, eingeschworene Fangemeinde für Manga-Comics und Anime. Ich bin immer wieder begeistert, wie gut sie Japanisch sprechen können. Man muss kein Manga-Fan sein, um Anime zu kennen - eine der bekanntesten Verfilmungen kennen wir alle: Heidi.
Zwei der heute bekanntesten Trickfilmregisseure reisten in den 70er Jahren nach Europa, um für eine Verfilmung von Pipi Langstrumpf zu recherchieren. Doch Autorin Astrid Lindgren lehnte eine Zusammenarbeit ab. Durch Zufall stießen die Regisseure auf die Heidi-Geschichten und entdeckten sowohl die Erzählung von Johanna Spyri aus dem 19. Jahrhundert als auch die beeindruckenden Alpenpanoramen.
Einer der beiden Männer war der Zeichner Hayao Miyazaki, der heute zu den berühmtesten Manga-Zeichnern zählt. Sein Studio “Ghibli” hat bis heute über 22 Filme produziert und zahlreiche Preise gewonnen. Alle Filme sind bis heute handgezeichnet, die heutigen Filme entstehen zwar am Computer, aber dennoch entsteht jede Sequenz detailgetreu in Handarbeit unter strenger Aufsicht des Meister Miyazaki.
Die Schönheit in den kleinen Dingen
Bezeichnend für Miyazakis Schaffen ist seine Fähigkeit, der Schönheit in den kleinen Dinge Ausdruck zu verleihen. Seine fantastischen Welten fühlen sich vollkommen an und leben von einer reichen Atmosphäre, die eine starke emotionale Resonanz beim Zuschauer erzeugt. Miyazakis kreativer Schaffensprozess ist sehr visuell. Anders als andere Filmemacher startet er mit Zeichnungen, um sich Ideen anzunähern, aus denen sich im späteren Verlauf ein Skript ergibt. Seine Geschichten formen sich kontinuierlich während des Prozesses und können währenddessen jederzeit die Richtung wechseln.
Besonders ist auch seine Gabe, genau hinzusehen und präzise zu analysieren. Er sieht Dinge, die noch nicht existieren. Seine exzellente Beobachtungsgabe macht es ihm möglich, beispielsweise Bewegungsabläufe detailgetreu wiederzugeben. Bedeutsam für die Atmosphäre in Miyazakis Filmen ist der Raum, der sich zwischen der Action abspielt und zu dieser einen Kontrast darstellt. Hierbei spielt die japanische Philosophie des „Ma“ eine großem Rolle.
Die Philosophie des „MA”
„Ma“ bezieht sich auf die künstlerische Interpretation eines leeren Raumes, der oft ebenso wichtig ist wie der Rest des Kunstwerks und den Betrachter auf die Absicht des negativen Raumes in einem Kunstwerk hinweist. Ma wird oft als "eine Leere voller Möglichkeiten" und "Stille zwischen den Tönen" beschrieben. Obwohl der Begriff im Allgemeinen verwendet wird, um sich auf den buchstäblichen, sichtbaren negativen Raum zu beziehen, kann er sich auch auf die Wahrnehmung eines Raumes, einer Lücke oder eines Intervalls beziehen, ohne dass ein physisches Kompositionselement erforderlich ist. Das Spiel mit negativem Raum gibt Miyazakis Filmen eine Tiefe, die jeder Zuschauer auf seine eigene Art interpretieren und mit Inhalt füllen kann.
Miyazakis größter Erfolg ist der Film „Chihiros Reise ins Zauberland“. Der Film handelt von einem zehn jährigen Mädchen, welches in eine zauberhafte Welt eintaucht und in einem Badehaus für Götter arbeiten muss. Miyazaki war es dabei sehr wichtig, die Geschichte für Kinder leicht verständlich zu machen. Es sollte bewusst keine Geschichte sein, in der die Charaktere erwachsen werden, sondern eine Geschichte, in der die Hauptprotagonistin auf etwas zurückgreift, das bereits in ihr steckt und durch besondere Umstände hervorgebracht wird.
Der Geist in den Dingen
Hierbei kommt auch Miyazaki Faszination für Shintoismus zum Tragen. Shintō bezieht sich auf eine Vielfalt von religiösen Praktiken und Glaubensrichtungen, die sich auf die heimischen japanischen Gottheiten, die kami konzentrieren. Kami können in Form von Menschen, Tieren, Gegenständen oder abstrakten Wesen existieren. Daher wird Shintō oft als eine polytheistische, animistische oder theophanische Religion beschrieben.
Miyazaki ist fest davon überzeugt, dass allen Dingen ein Geist innewohnt und ihnen deshalb mit Respekt zu begegnen ist. Ein Dokumentationsfilm zeigt Miyazaki morgendliche Routine, welche damit beginnt, sein Studio aufzuschließen und in freundlicher Art und Weise die Geister zu begrüßen, welche sich mit ihm diesen Ort teilen. Auf die Frage des Reporters, wen er denn begrüßen würde, antwortete Miyazaki „die Bewohner des Hauses. Ich weiß nicht, wer sie sind, aber sie sind hier.“
Kein Ende in Sicht
Hayao Miyazaki kündigte Ende der 1990er Jahre erstmals an, sich von der Produktion von Animationsfilmen zurückzuziehen. Ein Jahr später kehrte er mit der Idee zum Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ zu Studio Ghibli zurück, welcher 2002 den Oscar für den besten animierten Spielfilm gewann. Auf die Frage, weshalb er sich entschlossen habe, noch einmal zurückzukehren, antwortete er schlicht: „Weil ich es so wollte.“
Das Herzblut, welches Miyazaki für seine Tätigkeit aufbrachte, lässt sich am ehesten mit Ikigai erklären. Niemand zwang ihn, zurückzukommen und doch sah er es als seine Berufung an, genau dies zu tun.
Mehr Hintergründe über die Leidenschaften und das Ikigai von Hayao Miyazaki in unserem Ikigai-Buch: Das Geheimnis der kleinen Dinge, von Klaus Motoki Tonn.