Ein Gespräch über Zukünfte mit Johannes Kleske - Teil 2
Heute präsentieren wir euch Teil zwei des Interviews mit Johannes Kleske. Er ist Zukunftsforscher sowie Gründer der Agentur Third Wave. Johannes beschäftigt sich seit Jahren mit Zukünften aus einer kritischen Perspektive.
In Teil zwei geht es darum, wie Deutschland Zukünfte händelt, warum wir von alternativen Zukünften erzählen und sie erschaffen müssen — und was das Silicon Valley und Elon Musk mit dieser Aufgabe zu tun haben.
Welche Geschichte möchtest du über die Zukunft erzählen? Welche Rolle willst du in dieser Geschichte einnehmen? Daraus folgt: Welche Zukunft soll passieren?
Mitten in der Pandemie haben Unternehmen, Gastronomen, Einzelhändler vor allem eines, siehe oben: Zukunftsangst.
Wenn es um die Existenz geht, gehst du nicht zum Zukunftsforscher. Aber ganz praktisch ist es ja so: Ich muss als Händler, Gastronom ein Problem lösen. Aber trotzdem sollte ich mir Zeit nehmen und versuchen, die Gesamtsituation so zu verändern, dass ich irgendwie wieder rauskomme. Ich war vor einiger Zeit auf einem Panel, bei dem es um Kreativwirtschaft ging. Da waren ein DJ und ein Technikverleih dabei. Die Open Air Bühnen, die sonst den Sommer über ausgebucht sind, standen im Hof. Also haben sie umgesattelt auf Live-Stream-Setups.
Damit haben sie sich für die Zukunft ein zweites Standbein geschaffen.
Genau! Es geht doch um die Frage: Wie rüsten wir uns so, dass wir in Zukunft solche Szenarien besser überstehen? Wenn wir in ein Zeitalter der Pandemien gehen sollten. Es wird nicht reichen, einen Notfall-Fonds für die Kreativwirtschaft aufzusetzen. Das soll man tun, aber das Andere nicht lassen! Es geht darum ex ante zu agieren, also vorbereitend Politik zu machen und nicht nur Feuer zu löschen. Veränderungen am System sind notwendig.
Das ist beinahe schon Risikomanagement. Müsste die Methodik der Zukunftsforschung nicht schon früher beginnen, vielleicht sogar schon in der Schule?
Es gibt eine Initiative von unseren Kommilitonen, die Zukunftsbauer, die genau das als Agenda haben, Zukunftsforschungsmethoden an die Schulen zu bekommen. Wie es ganz praktisch geht, zeigt Fridays for Future: Wir wollen nicht die Zukunft, die sich gerade anbahnt, wir wollen alternative Zukünfte! Und wir haben Ideen dafür, wie das aussehen kann, weil wir mit diesen Zukünften leben müssen. Deswegen wollen wir sie bewusst so aufbauen. Dies ist meiner Meinung nach eine Grundfähigkeit zu verstehen, wie Zukunft funktioniert und wie man sie gestalten kann, welche Möglichkeiten drinstecken.
Um Zukunftsforschung breit zu lehren, muss also erst noch eine Generation heranwachsen?
Wir müssen jetzt in die junge Generation investieren. Zukunftsforschung in Deutschland wurde bislang geflissentlich ignoriert. Seit den 1960er-Jahren gibt es bei uns Zukunftsforschung. Teils war sie richtig angesehen und im Kanzleramt institutionalisiert. Leider kam sie häufig sehr verkopft und unverständlich daher und galt als Eliten-Wissen. Das ändert sich jetzt. Heute gibt es sehr viel mehr partizipative und inklusive, auch feministische Zukunftsforschung.
Du bist notorischer Optimist?
Man könnte meinen, Zukunftsforscher stünden immer am Abgrund. Einerseits habe ich so viele negative Zukunftsszenarien und Prognosen gesehen, die dann doch nicht eingetreten sind. Und das andere ist: Aus meiner Fähigkeit, in Szenarien zu denken, habe ich die Weite, auch die positiven Szenarien zu sehen und für möglich zu halten. Beispielsweise weil wir Krisen, kalte Kriege überwunden haben.
Deswegen bin ich weder Pessimist, aber auch kein Optimist im Sinne von „Es wird schon alles gut gehen”. Ich bin Realist und glaube an die Selbstwirksamkeit im Sinne von „Wenn wir uns den Hintern aufreißen, besteht die Möglichkeit, dass es „gut” wird”.
Jedes Zukunftsbild ist normativ. Das heißt: Eine Entscheidung darüber, was darin enthalten ist und was nicht. Der typische Zukunftsforscher befragt in der Regel seine Bezugsgruppe — also wer macht sich gerade Gedanken über Zukünfte? Das können Bürgermeister:innen, Amtsleiter:innen einer Kommune und auch Vertreter:innen der Gesellschaft sein — je nach Design.
Zukunftsszenarien sagen in der Regel wenig über die Zukunft, aber sehr viel über den Schreibenden aus.
Hoffnung heißt für mich: Wenn wir alles tun, was in unserer Macht steht, kann es besser werden! Das ist meine Motivation! Dinge zu hinterfragen, neue Wege aufzuzeigen, um Menschen mehr Handlungsfähigkeit und Spielraum zu ermöglichen.
Ein Beispiel: In der digitalen Transformation hatten oder haben viele deutsche Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gefühl: Die Jungs im Silicon Valley machen das unter sich aus, wir rennen denen nur hinterher.
Amerikaner und Asiaten haben einen klaren Vorsprung.
Aber nur weil Silicon Valley diesen einen Weg geht, heißt das nicht, dass ein anderer Weg nicht möglich ist. Der ist vielleicht schwieriger, aber er könnte langfristig erfolgreicher sein. Und deswegen ist es doch in den letzten zwei, drei Jahren so faszinierend gewesen, zu beobachten, wie China plötzlich mit ganz eigenen Digitalisierungs-Vorstellungen kommt. Plötzlich stehen zwei Wege nebeneinander und plötzlich kann man sich vorstellen, da könnte es einen dritten Weg geben. Darum haben wir in Europa ständig den Begriff von einem dritten Weg.
Du sagst, das Silicon Valley sei unglaublich gut darin, eine gute Story über diesen einen Weg zu erzählen.
Das Silicon Valley hat über die letzten 50 Jahre hinweg ein Narrativ entwickelt, das besagt: Mit digitalen Technologien lassen sich alle Probleme der Welt lösen! Heißt: Wir müssen nur die richtigen Technologien bauen und dann lässt sich das alles lösen! Das ist die Geschichte. Wie stark dieses Narrativ wirkt, merkst du, wenn du mit Geschäftsführenden in Deutschland redest. Die sagen: Das müssen wir auch machen. Wenn du fragst warum, lautet die Antwort: Das ist die Zukunft! – Das Narrativ bestimmt die Zukunft.
Weil wir dem keine eigene Erzählung entgegenstellen, übernehmen wir sie?
So war das bislang. In den letzten zwei, drei Jahren entstanden alternative Narrative auch über das Silicon Valley: Das Silicon Valley als Überwachungssystem! Als ausbeuterisches System! Und plötzlich merkte man wie sich der Blick auf das Silicon Valley verändert hat. Inzwischen wird Facebook verklagt, Google kritisch hinterfragt und so weiter.
Was bedeutet all das für deine Praxis, für deine alltägliche Arbeit?
Die Grundfrage, die wir unseren Kunden stellen, lautet: Welche Geschichte möchtest du über die Zukunft erzählen? Welche Rolle willst du in dieser Geschichte einnehmen? Daraus folgt: Welche Zukunft soll passieren? Relevant sind nicht die abstrakten, statistischen Beschreibung von Zukunft, sondern das, was uns am meisten prägt.
Leute wie Elon Musk erzählen in Endlosschleife ihre Geschichte.
Elon Musk ist ein gutes Beispiel für Leute, die eine Vision haben, über einen immensen Reichtum verfügen und obendrein über Ingenieursverständnis, um ihre Vision auch noch selber gleich anzuschieben. Darum sind sie besonders einflussreich. Leider gibt es zu Elon Musk noch zu wenige Alternativen. Und zu wenige, die sagen: Ich finde nicht gut, was der macht. Das geht besser! Nachhaltiger, inklusiver. Hier ist eine Vision, die ist nicht nur exklusiv für die Reichen dieser Welt! Leider haben wir ein Narrativ, das als alternativlos wahrgenommen wird.
Es wäre Aufgabe von Journalismus, das gründlicher zu hinterfragen.
Ja und nein. In dem Moment der Journalismus darauf reagiert, hat Musk erneut gewonnen. Dann beginnt eine neue Debatte, dann gebührt Musk wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Was bleibt also zu tun?
In die Gänge zu kommen! Genau das ist die große Herausforderung: Befasse ich mich ständig nur mit dem Tagesaktuellen? Oder beschäftige ich mich nicht besser mit einer Strategie, die mittel- und langfristig mehr Wirkung erzeugt? Lasse ich mich vom Nachrichtenstrom aus unübersichtlichen widersprüchlichen Meldungen zu Corona lähmen? Oder schaue ich gezielt einmal am Tag die „Tagesschau“ und treibe in der so gewonnenen Zeit andere Dinge voran?
Zurück zu eurer Arbeit, zur angewandten Zukunftsforschung, wie ihr sie bei Third Wave betreibt. Woran arbeitet ihr?
Wir haben ein Seminarkonzept erstellt, in dem es darum geht, Zukunftsdenken in Organisationen zu implementieren. Wir kooperieren mit Organisationsdesignern und haben einen kombinierten Kurs aus Futures-Thinking und Organisationsdesign entwickelt. Was sind die typischen Hürden, was sind die verschiedenen Ebenen, auf denen man das Thema reinbringen kann? Was sind gute Methoden, die sich bewährt haben? Inzwischen haben wir das Seminar zweimal durchgeführt und bieten es jetzt für Teams und Organisationen als Trainingseinheit an.
Hast du abschließend einen Literaturtipp?
Ja, aber nicht speziell zur Zukunftsforschung. „Das Zettelkasten-Prinzip“ von Sönke Ahrens zeigt auf, wie man eine wissenschaftliche Arbeit erstellt. Vor allem aber, finde ich, ist es ein spannendes Buch, weil es einem dabei hilft, wie man liest, wie man und zwar nicht zu lesen, um möglichst schnell zu lösen und möglichst viel zu lesen, sondern zu lesen und zu verarbeiten. Die Grundidee basiert quasi auf Luhmanns Zettelkasten: Niklas Luhmann hat das, was er gelesen hat, stets in eigene Worte übersetzt und versucht, die eigentliche Kernbotschaft zu formulieren und damit weiterzuarbeiten. Bevor man ein Fachbuch liest, würde ich empfehlen, dieses Buch zu lesen, weil es das eigene Lesen verändert und die Methode, das Gelesene zu verarbeiten. Übrigens bin ich Fan von Slow Reading. Ich lese lieber weniger Bücher, diese dafür intensiv.
Schlussfrage, Johannes: Wo wirst du als erstes hingehen und einen Kaffee trinken, wenn Berlin wieder öffnet?
Im Zweifel wieder zu Ben Rahim. Eines der angenehmsten Cafés, die es in Mitte gibt.