Das wahre Ikigai

Ikigai und der Sinn des Lebens

Was ist der Sinn des Lebens? Findet man ihn, wenn man erfolgreich im Beruf ist? Oder wenn man eine Familie gründet? Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft und finden kaum noch die Zeit, um uns die wichtigen Fragen des Lebens zu stellen. Viele Menschen laufen einem Idealbild hinterher, ohne sich zu fragen: Macht mich das glücklich? Das japanische Konzept Ikigai knüpft hier an und möchte Menschen zurück ins Hier und Jetzt bringen.

Was bedeutet Ikigai?

Hinter dem japanischen Begriff Ikigai verbirgt sich eine ganze Lebensphilosophie. Das Wort Ikigai besteht aus zwei Teilen: aus iki was Leben bedeutet und kai was mit Vernunft, Wert oder Nutzen übersetzt werden kann. Man könnte sagen Ikigai ist das, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen. 

Ein Ort, an dem Ikigai besonders praktiziert wird, ist die japanische Insel Okinawa. Hier leben prozentual zur Gesamtbevölkerung die meisten Hundertjährigen. Viele dieser Menschen leben ihr Ikigai und verbringen so ein glückliches und langes Leben.

Was ist ihr Lebensgeheimnis? Welche Rolle spiel das Ikigai? Was können wir von diesen Menschen lernen? Lasst uns gemeinsam in die Bedeutung dieser Lebensphilosophie eintauchen.

DIE IKIGAI VERWECHSLUNG

Japaner:innen sind sehr irritiert, wenn sie auf das Wort Ikigai angesprochen werden – und dann hören, dass es etwas mit Geld verdienen und vier Kreisen zu tun hätte. Tatsächlich ist das vielen bekannte “Venn-Diagramm” zum Ikigai in Wirklichkeit ein Diagramm des Kosmologen André Zuzunaga – und daher eher spanischen als japanischen Ursprungs.

Der letzte Teil - “Wofür man bezahlt werden kann” - war für mich etwas seltsam, da Ikigai mit Einkommen in Verbindung gebracht wird. Nicht viele Japaner betrachten ihre Arbeit als ihr Ikigai. Und wenn man jemanden sagen hört: Meine Arbeit ist mein Ikigai’, dann besteht die Gefahr, dass die Japaner denken, diese Person sei ein Workaholic.
— Yoko Inoue

Wie es zu dem großen Ikigai Missverständnis kam

André Zuzunagas Diagramm ist vielversprechend für alle, die nach beruflicher Orientierung suchen oder sich Fragen hinsichtlich ihrer Karriereplanung stellen. Chris Do hat hierzu einen viel beachteten Talk gegeben, der im Besonderen in der Pandemie-Zeit der erfolgreichste Youtube Talk von Chris Do und The Futur war (eigenes Interview von Motoki Tonn mit Chris Do auf Instagram live). Dabei handelt es sich hierbei jedoch nicht um das “wahre Ikigai”/respektive Ikigai, wie es in der japanischen Tradition und Philosophie verstanden wird.

In dem sogenannten “Proposito” (engl. Purpose, Sinn oder Bedeutung) von André Zuzunaga, gilt es anhand von vier Fragen herauszufinden, was der eigene Sinn sein könnte:

  • Was liebe ich?

  • Worin bin ich gut?

  • Womit kann ich Geld verdienen? und zu guter Letzt

  • Was braucht die Welt?

    Dort wo sich die Antworten dieser vier Fragen überschneiden, liegt der “Purpose” oder dem Missverständnis nach das eigene Ikigai.

Klingt einfach. Vier Fragen beantworten und schon habe ich meinen Lebenssinn gefunden? Ganz so einfach ist es nicht. Die Methode des Ikigai wird gerne in Seminaren und Coachings eingesetzt, um zur Sinnfindung beizutragen und die wahre intrinsische Motivation zu finden. Sicherlich kann diese Methode Menschen helfen, ihr Leben zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Es handelt sich jedoch um eine sehr oberflächliche Variante des Modells, die meist auf die berufliche Karriere ausgerichtet ist. Selbst André Zuzunaga hat dies später zugegeben:

Wenn ich über Purpose spreche, meine ich nicht zwingend Karriere. Ich meine damit etwas, was für dich von Bedeutung ist (...) und hoffentlich wird die Welt dich dafür bezahlen, dass du dem nachgehst.
— Andrés Zuzunaga über sein Venn Diagramm

Doch darum geht es in der ursprünglichen östlichen Tradition des Ikigai nicht. Es ist ein großes Missverständnis, dass das Ikigai gewinnbringend eingesetzt werden muss.

Ikigai ist frei von gesellschaftlichem Druck. Es legt den Fokus auf die kleinen Dinge des Lebens. Erst wenn wir Glück in alltäglichen Situationen erfahren können, werden wir auch mit schwierigen Situationen besser zurechtkommen.

Es geht bei Ikigai um eine innere Haltung. Wie und Warum du etwas tust ist wichtiger als Was du tust. Der japanische Psychologe Michiko Kumano ist der Meinung, man solle sich von der Vorstellung lösen, wie der eigene Lebenssinn auszusehen hat. Das eigene Ikigai ist unabhängig von dem sozialen Status oder der eigenen Karriere. Es geht darum, sich den Dingen zu widmen, die einem Freude bereiten.


Unser Ikigai Modell

Dies ist unser Finde Zukunft Ikigai Modell, welches dir helfen kann, dein Ikigai zu finden. Dabei spielen diese sechs Fragen eine entscheidende Rolle.


Mehr dazu lernst du in unserem digitalen Kurs und auch in unserem Buch:


Ikigai-Test mit Mieko Kamiya und Ken Mogi

Wir haben eine Ikigai-Reflexion entwickelt, die du hier machen kannst. Dabei nutzen wir die Ikigai-Dimensionen von Mieko Kamiya, der Begründerin der Ikigai-Forschung, und die fünf bzw. sechs Ikigai-Säulen von Ken Mogi.

 

Wie leben die Menschen auf Okinawa ihr Ikigai?

Die Bewohner der Langlebigkeitsinsel Okinawa zeigen, wie ein Leben mit seinem Ikigai aussehen kann. Auf dieser japanischen Insel gibt es überdurchschnittlich viele aktive und gesunde Hundertährige, die ihr Ikigai tagtäglich praktizieren.

Diese Menschen führen einen aktiven Lebensstil. Viele von ihnen haben einen eigenen Gemüsegarten, engagieren sich in der Gemeinschaft, feiern und tanzen gemeinsam. Sie gehen einer wichtigen Aufgabe, ihrem Ikigai, nach und sind sehr stolz auf ihre Traditionen und die lokale Kultur. Alles was sie tun, tun sie mit Leidenschaft.

Ein Beispiel dafür sind die Takumi-Meister, die fast 100.000 Stunden damit verbringen ein Handwerk zu erlernen. Mit Konzentration, Achtsamkeit und Liebe zum Detail geben sie sich einer Tätigkeit hin und finden darin ihr Ikigai.

Diese Menschen setzen sich nicht „zur Ruhe“, wie es klassischer Weise in der westlichen Welt üblich ist. Sie bleiben ein Leben lang aktiv und gehen ihrem Ikigai nach, solange es ihre Gesundheit zulässt. Dieses aktive Leben zahlt sich aus: Wissenschaftler der Tohoku Universität haben herausgefunden, dass Menschen die ihr Ikigai ausleben, eher von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschont bleiben.[1]

 
Finde-Zukunft_IKIGAI

Mehr über IKIGAI

Die Macht des Flows

Flow ist der Zustand, in dem man sich befindet, wenn man voll und ganz in einer Tätigkeit aufgeht und nichts anderes mehr wichtig ist.[2]

Arbeiten im Flow – danach streben viele Kreative, Künstler und Selbstständige. Sie sehnen sich nach einen Flowzustand, der einen alles andere vergessen und produktiv arbeiten lässt.

Um in einen solchen Flow zu kommen, muss man möglichst viel Zeit mit einer Tätigkeit verbringen, so wie die Takumi-Meister. Gleichzeitig sollte man Dingen aus dem Weg gehen, die eine schnelle Befriedigung schaffen, wie z.B. ständiges Naschen, Drogen- oder Alkoholkonsum.

Dieser Zustand des Flows wird beschrieben als „Genuss, Freude, Kreativität und der Prozess vollständigen Einsseins mit dem Leben.“[3]

Menschen, die ihr Ikigai leben und in ihrer Tätigkeit aufgehen, erleben einen solchen anhaltenden Flowzustand. In diesen Momenten verschwinden die Sorgen, Stunden vergehen wie im Flug und man hat einen klaren Kopf.[4] 

Resilienz durch Ikigai 

Menschen mit einem klar umrissenen Ikigai habe eines gemeinsam: Sie folgen ihrer Leidenschaft, egal was passiert. Sie beweisen Resilienz, was auch als seelische Widerstandskraft bezeichnet werden kann.

Was zeichnet resiliente Menschen aus? Im Buch Ikigai – gesund und glücklich hundert werden heißt es:

Ein seelisch widerstandsfähiger Mensch ist imstande, sich auch in schwierigen Situationen auf seine Lebensziele zu konzentrieren, auf das wichtigste im Leben, ohne in Mutlosigkeit zu versinken.[5] 

Die Bewohner der japanischen Insel sind dank ihrem Ikigai besonders resilient und lassen sich nicht so einfach unterkriegen. Sie haben einen Grund morgens aufzustehen und in den Tag zu starten. Sie haben ihr Ziel vor Augen. 

Resilientes Leben im Hier und Jetzt 

ndem wir uns bewusst machen, welche Dinge wir in unserem Leben kontrollieren können und welche nicht, stärken wir unsere Resilienz. Es ist wenig sinnvoll, unsere Energie auf Dinge zu verwenden, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegen. Wie Ken Mogi betont, liegt der Schlüssel zum Glück oft darin, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und die kleinen Freuden des Lebens zu schätzen.

Das Hier und Jetzt ist der einzige Ort, an dem das Leben wirklich stattfindet. Doch viel zu oft sind wir abgelenkt, machen uns Gedanken und Sorgen über das, was geschehen ist oder vielleicht geschehen wird. Durch die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment können wir beginnen, das Leben in seiner vollen Intensität zu erleben und die Dinge, die uns wirklich wichtig sind, zu schätzen.

Wabi-sabi – das Schöne in der Vergänglichkeit

Das japanische Konzept wabi-sabi stellt diese Vergänglichkeit in den Mittelpunkt und hebt die Schönheit der veränderlichen und unvollkommenen Natur der Dinge hervor. Schönheit soll demnach nicht in Perfektion, sondern im Unvollständigen gesucht werden.

In Europa haben wir damit oft Probleme. Erkennen lässt sich das in den monumentalen Steinbauten und Kathedralen, die den Eindruck von großer Widerstandsfähigkeit und Beständigkeit vermitteln. Japanische Architektur nimmt hingegen in Kauf, dass ihre Holzbauten früher oder später verschwinden werden oder dass folgende Generationen diese wieder aufbauen müssen.

Ein Leben mit dem Bewusstsein, dass alles vergänglich ist, kann uns helfen, unser Ikigai zu finden. Denn diese Sichtweise lässt uns unseren Fokus auf die Dinge lenken, die uns Freude bereiten und wirklich wichtig sind. 

Das wahre Ikigai

Statt Erfüllung in großen bedeutungsschweren Dingen zu suchen, sollten wir uns auf die kleinen Dinge konzentrieren, die Sinn stiften und die wir ständig greifbar im Alltag erleben. Diese Momente können uns Kraft geben, wenn wir mit Schwierigkeiten konfrontiert sind. Was macht dir wirklich Freude? Warum stehst du am Morgen auf?

Ist es deine Familie? Dein Garten? Dein Beruf? Dein Hobby?

Was immer es ist, dass dir Freude bereitet: Nimm es an und führe es fort. Löse dich von deinen Vorstellungen, wie der Lebenssinn auszusehen hat. Dies ist nicht von Bedeutung. Es geht nicht darum wie es aussieht, sondern wie es sich anfühlt.

 

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Links:

[1] Sense of Life zuletzt geprüft: 24.09.2020

[2] Csikszentmihalyi, zitiert nach Miralles/ García, 2016, S. 95

[3] Csikszentmihalyi, zitiert nach Miralles/ García, 2016, S. 95

[4] Ikigai – gesund und glücklich hundert werden. Miralles, GarcÍa. 2016, S.110

[5] Ikigai – gesund und glücklich hundert werden. Miralles, GarcÍa. 2016, S. 197

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Wenn ich ganz still bin. Kontemplation nach Dorothee Sölle

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