Interview mit Yves Steininger: Was begeistert dich?

Einleitung

 

Yves Steininger
Charité Berlin, Mental Excellence,
ist klinischer Psychologe, Sportpsychologe, Facilitator für Search Inside Yourself, erfahrener MBSR-& MSC-Lehrer und Coach.

Yves ist Experte auf dem Gebiet der emotionalen Intelligenz und Achtsamkeit und hat sich sowohl in der Praxis als auch in der Forschung intensiv mit diesen Themen beschäftigt. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Entwicklung von effektiven und nachhaltigen Leistungs- und Resilienzstrategien zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen. Ob es um die Vorbereitung auf sportliche Höchstleistungen wie Deutsche Meisterschaften, Europa- oder Weltmeisterschaften geht oder um Herausforderungen im beruflichen Kontext – Yves hat wertvolle Einblicke und Erfahrungen zu teilen. Als Dozent an der BSP Business- und Law School Berlin und der MSH Medical School Hamburg leitet er verschiedene achtsamkeitsbasierte Trainingsformate und gibt sein Wissen weiter.

Ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit ist die Integration von "Search Inside Yourself", einem von Google entwickelten Programm, das Achtsamkeit, emotionale Intelligenz und Führungskompetenz miteinander verbindet. Dabei geht es nicht nur darum, sich selbst besser zu verstehen, sondern auch um die Entwicklung von Mitgefühl und Resilienz, sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene. Darüber hinaus ist Yves ein begeisterter Fernwanderer, der bereits mehrere tausend Kilometer auf verschiedenen Jakobswegen zurückgelegt hat. Er begleitet Menschen nicht nur auf ihren äußeren, sondern auch auf ihren inneren Caminos. Im Folgenden sprechen wir mit Yves über seine Arbeit, seine Leidenschaft für Achtsamkeit, emotionale Intelligenz und Fernwandern sowie über die Bedeutung von "Search Inside Yourself".

Motoki: Yves, ich weiß es sehr zu schätzen, dass du dir die Zeit nimmst, uns einen Einblick in deine faszinierende Arbeit im Bereich Achtsamkeit und Emotionale Intelligenz zu geben.

Was begeistert dich an SIY?

Yves: “Das Besondere an SIY (Search Inside Yourself) ist, dass es die verschiedenen Achtsamkeitspraktiken und die Erkenntnisse des aktuellen Stands der Forschung „zum Leben erweckt“ indem es die Brücke zu unseren ganz alltäglichen, privaten und beruflichen, vor allem aber menschlichen, Herausforderungen schlägt. Das SIY Programm gibt jedem die Möglichkeit die z.T. jahrtausendealten Übungen und Methoden für die Entfaltung emotionaler Intelligenz zu nutzen und jeden Tag neu einzusetzen und individuell anzupassen – nicht nur zur Verbesserung meines eigenen Wohlbefindens und zum Erreichen meiner persönlichen Ziele, sondern auch unter Berücksichtigung und Förderung des Wohlergehens der Menschen mit denen ich in unterschiedlichen Kontexten verbunden bin. Das finde ich besonders schön. SIY erlebe ich als etwas Sinnstiftendes und eine Möglichkeit, einen positiven Beitrag in die VUCA-Welt einzubringen.”

Motoki: Was hat dich an deiner Forschung begeistert?

Yves: “In meiner Forschungszeit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnte ich mein Interesse an Achtsamkeit und Selbstmitgefühl, sowie meine langjährige Erfahrung aus dem Leistungssport zusammenbringen und mit dem "Mindfulness and Self-Compassion focussed Walking (MSCW)“ ein Trainingsprogramm entwickeln, das Sport mit der Haltung der Achtsamkeit in der Bewegung selbst verbindet. An Brustkrebs erkrankte Frauen können so auch während der anstrengenden und zehrenden schulmedizinischen Behandlungszeit etwas Stärkendes für sich tun und sich aktiv in ihren eigenen Genesungsprozess einbringen.
Ich finde es extrem spannend, Trainings in unterschiedlichen Kontexten zu konzipieren und sie dann mit quantitativen und qualitativen Methoden auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Die subjektive Wirkung bei jedem einzelnen Teilnehmer interessiert mich dabei am meisten. Da wird dann schnell klar, dass die TeilnehmerInnen die Trainingsinhalte jede/r auf ihre/seine eigene Art, ganz individualisiert für sich nutzen, anpassen und weiterentwickeln. Oft sind es dann am Ende ganz andere Lebenssituationen als erwartet, in denen die Haltung der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls Einfluss finden. Das Wichtigste ist dabei immer, dass es die Lebensqualität der Teilnehmer bereichert.

Und: gerade der Bereich Forschung konfrontiert einen immer wieder mit dem ungewissen – sei es, dass erst auf den letzten Drücker die Anschlussfinanzierungen gelingen oder, dass bis zum Abschluss des Projektes nicht klar ist, ob sich die Mühen im Ergebnis widerspiegeln. Forschung ist etwas sehr Lebendiges und zum Teil Unkontrollierbares, das gefällt mir. Geduld und Vertrauen sind dabei die Fähigkeiten, die gefordert werden, und die mir jetzt auch in anderen Lebensbereichen weiterhelfen.

Motoki: Warum Sport und Achtsamkeit, wo siehst du konkrete Ansatzpunkte für Fokus, Höchstleistung, Sinn, Wertefluss etc. für Menschen, die professionell Sport treiben, aber auch für Menschen, die als Führungskräfte in Unternehmen Höchstleistungen erbringen?

Yves: “Die Achtsamkeit lädt uns dazu ein, immer wieder dort zu beginnen, wo wir gerade sind, ganz nah bei uns selbst, uns nicht zu verwechseln mit dem anderen und uns selbst, unsere Werte, Grenzen und Potenziale sehr gut kennenzulernen.
Im Sport und in allen Bereich, in denen Leistung und Höchstleistung wichtig ist, geht es darum, die beste Version seiner selbst zu sein, wenn es drauf ankommt und aus dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die der Teamkolleginnen Entscheidungen zu treffen und Herausforderungen anzunehmen. Das regelmäßige Praktizieren von Achtsamkeitsübungen hilft uns dabei, ganz im Hier und Jetzt bei dem zu sein, was gerade geschieht, was wir gerade tun, und zu unterscheiden und erkennen, was aktuell wirklich wichtig und auch möglich ist. Das Geschenk einer regelmäßigen Praxisroutine ist auch eine immer stärker werdende Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit bewusste zu steuern. Das zunächst nicht reaktive Wahrnehmen der Dinge, so wie sie sich gerade zeigen, lässt uns ein Gespür für das kurzweilige „Eigenleben“ unserer Gedanken und Gefühle entwickeln. Wir brauchen uns nicht mehr ständig mit unseren Gedanken und Gefühlen zu verwechseln, und können immer wieder einen gesunden Abstand zu unserem inneren Erleben einnehmen. So werden wir mit der Zeit vor allem weniger abhängig von den uns blockierenden und ängstigenden Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen. Das hilft ungemein, um das wirklich Wesentliche im Blick zu halten und zu tun, hier und jetzt. Und damit meine ich nicht nur auf beruflicher Ebene, sondern auch im privaten Leben, in Beziehungen.
Achtsamkeitspraxis lässt uns authentisch werden, und schenkt uns den Raum, Dinge auch immer mal wieder infrage zu stellen, da spielt dann auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten eine Rolle, mit dem eigenen „Wofür?“. Sich des eigenen Wofür bewusst zu sein, auch das ist zentral für gute Leistungen im Sport und im Beruf.”

Motoki: Was begeistert dich sonst noch? Wie viele Kilometer bist du schon auf dem Jakobsweg gepilgert und warum pilgerst oder reist du immer wieder?

Yves: “Ich habe bereits 2.100 KM zurückgelegt. Ich liebe das Meer, das Wandern und die Sonne. Ich habe vor 3 Jahren das Surfen entdeckt und versuche jedes Jahr ein paar Wochen an meinen Skills zu arbeiten. Außerdem verbringe ich recht viel Zeit auf verschiedenen Wanderwegen, am liebsten auf Jakobswegen Richtung Santiago de Compostela oder im Tramuntana Gebirge auf Mallorca. Das Wandern und Pilgern ist für mich eine große Kraftquelle. Obwohl meist beschwerlich und anstrengend, ist der Lohn für mich oft ein freierer und beweglicherer Geist. Ich genieße die Verlangsamung, das Zurückkommen zu Basics, ein Schritt nach dem Anderen vorwärtsgehen. Zudem mag ich die spirituellen Momente des Pilgerns auf diesen Wegen. 2016 hätte ich mich fast nach Ende meines ersten Jakobswegs in Santiago spontan taufen lassen, völlig unerwartet. Es ist nur daran gescheitert, dass der Taufpriester auf Dienstreise war :), wahrscheinlich hole ich es bald nach. Das Gehen mit sich selbst, das gemeinsam auf dem Weg sein mit anderen Menschen, das gemeinsame Menschsein in der Einfachheit, den Weg zum Ziel machen und gleichzeitig das große Ziel Santiago in der Ferne zu sehen, das macht etwas mit einem. Ich spüre dabei oft eine Dankbarkeit. Für mich ist das Pilgern und Langstreckenwandern auch eine Art Selbstmitgefühlspraxis. Man lernt seine eigenen Grenzen kennen, man muss ein Gefühl für die eigene Leistungsfähigkeit entwickeln, man muss in sich hineinhören, die Sprache des Körpers verstehen lernen, sonst ist die Reise schnell zu Ende.”

Foto von Jon Tyson auf Unsplash

Motoki: Was hast du aus dieser Erfahrung über das Leben gelernt?

Ives: “Wenn ich nicht jeden Tag neu zu mir selbst und meiner Art, die Dinge zu tun, den Weg zu gehen, Ja sagen, dann wird es sehr, sehr steinig.”

Motoki: Was möchtest du noch in deinem Leben lernen?

Ives: “Spanisch sprechen und Tango tanzen.”


Motoki: Welcher Ort inspiriert dich am meisten? Und welchen Ort hast du noch nicht gesehen, möchtest ihn aber unbedingt besuchen?

Ives: “Die riesigen Wellen von Nazaré in Portugal fand ich sehr beeindruckend und inspirierend. Vor allem die Urkraft, mit der sie anrollen. Und Maui, Hawaii hatte eine traumhaft lebendige Athmosphäre. Außerdem mag ich Port de Sóller auf Mallorca sehr. Ich würde gerne mal eine Wandertour durch Island machen.”

Motoki: Wo war Achtsamkeit für dich selbst schon einmal ganz konkret eine Hilfe?

Ives: “In Beziehungsstreits :) kurz bevor ich irgendwas Verletzendes impulsiv rausgehauen hätte …”


Motoki: Yves, ich möchte dir herzlich für deine inspirierenden und wertvollen Einblicke danken.

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